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Viele Unternehmer kümmern sich nicht rechtzeitig um die Nachfolge

Julia Schwietering, Redaktion Wirtschaft aktuell

Generationswechsel im Mittelstand: Experten schlagen Alarm

Mehr als eine halbe Millionen Inhaber von kleinen und mittleren Unternehmen planen für die kommenden drei Jahre die Übergabe ihres Betriebes an einen Nachfolger. Recherchen der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zufolge ist ein Großteil der Unternehmen auf diesen Übergang nicht richtig vorbereitet  – sie schlagen Alarm.

842.000 Inhaber mittelständischer Unternehmen werden bis 2022 ihre Tätigkeit als Geschäftsführer aufgeben – mit oder ohne Nachfolger. Dazu kommt eine unbekannte und nicht wirklich abschätzbare Zahl an ungeplanten Unternehmensaufgaben. Das ergibt der Mittelstandsreport für 2017, den die KfW im Januar 2018 veröffentlicht hat. Die Spitze des Generationenwechsels wird sich in den Jahren 2023 bis 2027 abspielen. In diesem Zeitraum planen etwa 11 Prozent der Unternehmensinhaber den Rückzug aus dem Geschäftsleben. Rund 227.000 Unternehmer streben schon bis Ende nächsten Jahres die Fortführung ihres Betriebes durch einen Nachfolger an. Und wie sieht die Situation auf regionaler Ebene aus? Michael Meese, Nachfolgeexperte der IHK Nord Westfalen, erläutert: „Zwischen 2019 bis 2023 werden im IHK-Bezirk Nord Westfalen - Regierungsbezirk Münster - rund 20.000 Inhaber mit 118.000 Mitarbeitern ihr Unternehmen übergeben wollen. Viele von ihnen erzielen allerdings keinen nachhaltig erwirtschafteten Mindestgewinn von 50.000 Euro, sodass sie für Nachfolger nur wenig attraktiv sind. Wir schätzen, dass in den nächsten fünf Jahren knapp 5.000 wirtschaftlich ausreichend attraktive Unternehmen mit 94.000 Mitarbeitern zur Übergabe anstehen.“

Das hemmt die erfolgreiche Nachfolge 

Laut KfW wird es für circa 100.000 Unternehmer eng. Sie wollen eine Nachfolge bis Ende 2019 umsetzen, doch ein Nachfolger war eineinhalb Jahre vor der geplanten Übergabe noch nicht gefunden. Einige Unternehmer hatten nicht einmal mit der Suche nach einem Nachfolger begonnen.  42 Prozent der bis Jahresende 2019 anstehenden Nachfolgen waren Mitte 2017 kaum oder überhaupt nicht konkret vorbereitet. „Das Thema ist einfach unbequem“, fasst Enno Kähler, Nachfolgeberater der IHK Osnabrück, die Problematik zusammen. „Es ist ein Thema, das gerne auf die lange Bank geschoben wird. Schließlich sind die Überlegungen, die mit der Nachfolgeplanung zusammenhängen, nicht unbedingt angenehm: Der Unternehmer muss sich mit seinem Alter auseinandersetzen und manchmal auch mit dem Szenario eines Unfalls oder sogar des Todes.“

Doch eine mangelnde Vorbereitung hemmt die erfolgreiche Nachfolgeregelung. Kähler empfiehlt, sich mit spätestens 55 Jahren auf die Suche nach einer Nachfolgelösung zu machen. „Bei unerwarteten Problemen ist dann der zeitliche Rahmen in der Regel noch groß genug, um eine Alternative zu organisieren.“  Die DIHK erläutert in ihrem Report, dass fast jeder zweite Unternehmer zum Zeitpunkt der Befragung noch keinen Nachfolger an der Hand hatte. Das ist Rekord.

Potenzielle Existenzgründer fehlen

Doch auch für potentielle Existenzgründer ist die Situation nicht leicht: Etwa 70 Prozent der 4.300 Nachfolgeinteressierten berichteten der DIHK, dass sie noch kein passendes Unternehmen gefunden haben, das für eine Übernahme in Frage kommt. Dabei ist der Bedarf riesig, denn die aktuelle Unternehmergeneration wird immer älter. Anfang 2018 waren 1,4 Millionen Inhaber im Mittelstand 55 Jahre oder älter. Ein Viertel von ihnen wird zu ihrem geplanten Rückzugstermin bereits über 70 Jahre alt sein. Viele Unternehmen werden in den kommenden Jahren einen Nachfolger suchen – doch die Anzahl der potentiellen Nachfolger sinkt seit Jahren. Laut Angaben des KfW-Mittelstandsreports gab es 2001 über 1,5 Millionen Existenzgründer. 2016 waren es noch 672.000. Das liegt daran, dass der Arbeitsmarkt aktuell sehr attraktiv und dynamisch ist. Junge Menschen haben die Möglichkeit, beruflich sehr gut Fuß zu fassen, ohne dabei das Risiko einer Gründung oder einer Nachfolge einzugehen. Nur etwa 154.000 Personen haben sich im Jahr 2016 durch eine Unternehmensbeteiligung oder -übernahme selbstständig gemacht. Das reicht nicht aus, um den Bedarf an qualifizierten Nachfolgern zu decken.

Abgekühlte Stimmung bei Senior-Unternehmern 

Bei den Senior-Unternehmern selbst kühlte sich die Stimmung laut DIHK-Report ebenfalls ab. 18 Prozent der von den IHKs beratenen älteren Unternehmern würden sich heutzutage nicht mehr selbstständig machen. Die Gründe sind vielschichtig: Der Fachkräftemangel und die enorme Bürokratiebelastung sorgen für Entmutigung. Viele der Inhaber bemängeln außerdem, dass das Unternehmertum gesellschaftlich auf wenig Akzeptanz stoße. Doch auch die Schnelllebigkeit, der große Wettbewerbsdruck und familiäre Belastungen bedrückten die Unternehmer. Dazu kommt die schwierige Nachfolgesuche.

Jeder siebte Unternehmer zieht deshalb eine Betriebsaufgabe in Betracht. Für viele Inhaber ist es aufgrund eines fehlenden Nachfolgers die einzig bleibende Option. Kleinstunternehmen mit weniger als fünf Beschäftigten wollen achtmal häufiger die Stilllegung als größere Unternehmen mit 50 oder mehr Mitarbeitern. Setzen alle kleinen und mittleren Unternehmen ihre Stilllegungspläne tatsächlich  um, werden im Höchstfall bis 2022 331.000 zur Zeit noch aktive Unternehmen aus dem Markt aussteigen. Das sind neun Prozent aller derzeit aktiven Mittelständler. 1,63 Millionen Arbeitnehmer wären davon betroffen. „Gerade Kleinstunternehmen haben es schwer. Ein-Mann-Unternehmen leben vor allem von der Person des Unternehmers an sich. Der Betrieb definiert sich über die Person des Unternehmers und wird maßgeblich von ihm geprägt. Für einen Nachfolger ist es deshalb oft schwierig, in das Unternehmen einzusteigen“, verdeutlicht Kähler.

Licht am Ende des Tunnels 

Die Probleme sind also vielfältig: Viele Unternehmer kümmern sich nicht rechtzeitig, es gibt zu wenige potentielle Nachfolger und bei Senior-Inhabern herrscht trübe Stimmung. Es drohen ungeregelte Übernahmen oder sogar Geschäftsaufgaben. Eine Situation ohne Aussicht? Im aktuellen Mittelstandspanel der KfW von Februar 2019 zeigt sich Licht am Ende des Tunnels. Auch die DIHK hat Hoffnung für die Zukunft. Meese ist ebenfalls optimistisch: „Wir sehen schon seit Jahren viele Unternehmerinnen und Unternehmer, die den Generationenwechsel rechtzeitig angehen, pragmatisch umsetzen und am Ende erfolgreich abschließen.“ Schon seit Jahren werde die Situation häufiger dramatischer dargestellt als sie eigentlich sei.

Wachsendes Bewusstsein für das Nachfolgethema 

Meese beobachtet ein wachsendes Bewusstsein für das Nachfolgethema bei den Senior-Inhabern: „Mittlerweile melden sich mehr als die Hälfte aller Unternehmer vor ihrem 60. Lebensjahr, um sich von uns beraten zu lassen. Das war Anfang 2000 noch ganz anders.“ Kähler ergänzt: „Man muss die regionalen Unterschiede berücksichtigen. Hier im Osnabrücker Land und in Niedersachsen ist das Interesse an einer Nachfolge durchaus vorhanden. Das Interesse übersteigt teilweise unsere Angebotsschiene. Allerdings verläuft der Nachfolgeprozess bei vielen Betrieben in der Region lautlos und ohne große Unterstützung von unserer Seite. Das liegt daran, dass viele Unternehmen ihre Nachfolge innerhalb der Familie regeln und den Prozess dann eigenständig organisieren.“

Die DIHK sieht insgesamt ein steigendes allgemeines Interesse an den Themen der Unternehmensgründung und der Unternehmensnachfolge. Sie stellt auch heraus, dass gerade bei Frauen ein wachsendes Interesse an einer Nachfolge zu beobachten ist: 2017 war ein Viertel der Nachfolgeinteressenten weiblich.

Sensibilisierung bei der Nachfolgeregelung

62 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen, die bis Ende 2020 eine Nachfolge anstreben, haben den Übergang bereits gemeistert und einen Nachfolger gefunden, das geht aus dem aktuellen KfW Mittelstandspanel hervor. Demnach ist die Übernahme bei rund 141.000 Unternehmen geregelt, außerdem befinden sich mehr Inhaber als 2017 in konkreten Nachfolgeplanungen. Ein Grund dafür sei, dass das Nachfolgemanagement stärker in das Bewusstsein der aktuellen Inhabergeneration rücke. Auch die erhöhte Aufmerksamkeit der Wirtschaftspolitik und eine breite und regelmäßige mediale Berichterstattung zum Thema hätten laut des KfW-Mittelstandspanels dazu beigetragen. Insgesamt seien die Unternehmer sensibler im Blick auf die Nachfolge geworden und würden sich besser auf den Übergang vorbereiten. Dazu gehört für immer mehr Betriebe auch die Anschaffung eines Notfallkoffers, in dem die wichtigsten Dokumente und Vollmachten für den Nachfolger zusammengestellt sind. Dieser spielt auch dann eine Rolle, wenn der Unternehmer kurzfristig, zum Beispiel durch einen Unfall, ausfällt – seine Vertreter sind mithilfe des Notfallkoffers in der Lage, den Betrieb weitestgehend aufrecht zu erhalten.

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