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Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Julia Schwietering, Redaktion Wirtschaft aktuell

„Der Unternehmer muss wieder eine Zukunft sehen“

Der Psychologe und Mediator Dr. Klaus Harnack ist an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster am Institut für Psychologie am Lehrstuhl für Arbeitspsychologie WOP tätig. Er forscht unter anderem in dem Bereich Mediation und Konfliktlösung. Außerdem ist er als externer Wirtschaftsberater im Einsatz. In einer dreiteiligen Interviewreihe mit fussstapfen.com gibt er einen Einblick in seine Arbeit und erläutert psychologische Phänomene, die während des Übergabeprozesses eine Rolle spielen. Im ersten Teil verrät Harnack, warum es so schwierig ist, die Führung aus der Hand zu geben und was Unternehmer tun können, um das Loslassen zu lernen.

Herr Harnack, als Psychologe und Mediator haben sie regelmäßig mit Senior-Unternehmern zutun, die ihren Betrieb an einen Nachfolger abgeben. Warum fällt es einigen Menschen so schwer, die Führung endgültig abzugeben?

Senior-Unternehmer sind eher von der Vergangenheit geprägt. Je länger sie in ihrem Betrieb sind, desto schwerer fällt es ihnen, sich aus ihren Mustern zu lösen. Wenn es um langfristige Veränderungsprozesse geht, ist die Zukunft des Unternehmens eine Zukunft ohne sie – das macht es für sie umso schwieriger. Viele Unternehmer sehen sich als Person untrennbar mit dem Betrieb verbunden. Deshalb verdrängen sie den Gedanken an ihr mögliches Ausscheiden. An dieser Stelle greift ein klassischer Mechanismus: die kognitive Dissonanz. Es gibt eine feststehende Tatsache – in diesem Fall der anstehende Rückzug aus dem Betrieb – die die Betroffenen aber nicht wahrhaben möchten. Deshalb möchte das Gehirn vermeiden, über diese Tatsache nachzudenken und es versucht, sie möglichst auszublenden. Nichtsdestotrotz haben Unternehmer natürlich Interesse an der Zukunft ihres Unternehmens. Und an dieser Stelle greift der Begleitprozess durch Dritte: Dem Unternehmer muss klar werden, dass er auch eine Zukunft im Betrieb hat – und zwar eine, von der er profitieren kann. Indem er zum Beispiel Anteile besitzt oder eine Beratungsfunktion besetzt. Er muss wieder eine Zukunft für sich sehen.

Das Bild zeigt Holzplättchen auf orangem Hintergrund, vier Holzplättchen ergeben das Wort "Plan".
Externe Berater entwickeln gemeinsam mit dem Unternehmer einen konkreten Plan für die Zeit nach der Übergabe.

Wie funktioniert das konkret?

Dazu gibt es schöne Interventionen, zum Beispiel das mentale Kontrastieren: Ich überlege mir zwei Punkte. Der eine ist mein Start- und der andere mein Zielpunkt. Ich überlege mir, auf welche Art von Hindernissen ich stoßen werde, wenn ich Schritt für Schritt von meinem Startpunkt auf den Zielpunkt zugehe. Habe ich die Widerstände identifiziert, belege ich sie mit konkreten Plänen. Ich denke also in Wenn-Dann-Konstellationen bis zu meiner Vision – und plötzlich befinde ich mich nicht mehr in einem abstrakten, sondern in einem konkreten Modus. Das hilft enorm und ist für den Selbstfindungsprozess sehr wichtig. Diese Vorgehensweise ist nicht neu – nur neu für diese Art von Klientel. In der Psychotherapie oder in der Sportpsychologie wird diese Strategie sehr häufig angewandt.

Wie lernt ein Unternehmer das Loslassen?

Es geht darum, das Loslassen nicht als Ruck zu organisieren, sondern als kontinuierlichen Prozess. Es muss eine Rollenänderung geben. Das kann für den Unternehmer sehr befreiend sein: Schließlich besetzt er im Unternehmen sicher auch viele Rollen, die ihn vielleicht stressen und die er mit der Zeit nicht mehr handhaben müsste.

Doch das Loslassen ist schwer. Viele Unternehmer antizipieren nicht, was es bedeutet, nicht mehr ganz dabei zu sein. Und dann fallen sie tatsächlich in ein Loch. Sie haben einen groben beziehungsweise abstrakten Auflösungsgrad. Das gleiche Phänomen tritt auf, wenn wir einen Urlaub planen. Ein Jahr vor dem geplanten Urlaub denken wir mit Blick auf die freien Tage: Mein Urlaub wird erholsam und schön. Das ist alles sehr abstrakt, weil wir den Urlaub psychologisch in die Ferne schieben. Wenn der Urlaub allerdings unmittelbar vor der Tür steht, werden unsere Gedanken konkreter und viel detaillierter: Die Zeitung muss abbestellt werden, die Blumen gegossen, der Hund betreut. Und genau dieser Effekt tritt auch vor der geplanten Übergabe auf. Unternehmer schieben das Problem in die Ferne, doch je näher es rückt, desto größer wird der Berg der Herausforderungen. Von Anfang an wählen viele also nicht den richtigen Auflösungsgrad. Darin sind externen Begleiter besser: Sie planen gemeinsam mit dem Unternehmer ganz konkret die Zeit nach der Übergabe. Dann merken die meisten, dass ihre bisherigen Pläne für die Zeit nach ihrem Rückzug nicht ausreichen. Wenn die Betroffenen das gemerkt haben, fangen sie an, bessere Pläne für sich zu entwickeln.

Im zweiten Teil unserer Interview-Reihe wird es unter anderem um das Thema Generationenkonflikt gehen. Außerdem wird Dr. Harnack Tipps für einen gelungenen Übergabeprozess geben und erklären, worauf es im Umgang mit den Mitarbeitern während einer Unternehmensnachfolge ankommt.

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