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Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Julia Schwietering, Redaktion Wirtschaft aktuell

Dr. Klaus Harnack: „Transparenz ist das A und O“

Im ersten Teil unserer Interview-Reihe hat der Psychologe und Mediator Klaus Harnack erklärt, wie Unternehmer das Loslassen lernen können. Im zweiten Teil der fussstapfen-Reihe erläutert er, weshalb das Thema „Generationenkonflikt“ so gern diskutiert wird, gibt Tipps für einen gelungenen Übergabeprozess und macht klar, worauf es im Umgang mit den Mitarbeitern während einer Unternehmensnachfolge ankommt.

Herr Harnack, zurzeit treffen sehr häufig Senior-Unternehmer aus der Generation Baby Boomer auf Nachfolger aus der Generation Y aufeinander. Entstehen die Konflikte, die es in vielen Übergabeprozessen gibt, aufgrund des Altersunterschiedes oder hat es auch etwas mit dem Profil der beiden Generationen zu tun?

Die Trennschärfe zwischen den Generationen ist mäßig. Wenn man sich wirklich ansieht, wie sich zum Beispiel die moralischen Vorstellungen unterscheiden, wird schnell deutlich: Die Generationen sind nicht so verschieden, wie sie gehandelt werden. Dass die Älteren die Jüngeren angeblich nicht verstehen, war schon immer so und hat nichts mit den Generationen zu tun. Diesen Punkt würde ich nicht so hoch aufhängen, auch wenn gerne über dieses Thema gesprochen wird.

Warum ist das Interesse an diesem Thema denn so groß?

Weil das Phänomen salient ist. Es sticht ins Auge – aber es hat wenig Substanz. Ein ähnliches Phänomen ist der persönliche Unterschied von Geschwistern: Erstgeborenen werden bestimmte Eigenschaften zugesagt, die Zweitgeborene nicht besitzen und andersherum. Zu diesem Thema gibt ganz verschiedene Meinungen, weil jeder, der ein Geschwisterkind hat, sich dazu positionieren kann. Sobald dann zwei Personen eine Meinung teilen, entwickeln sie eine Theorie. Es gibt eine Metaanalyse, die mehrere Studien dazu ausgewertet hat. Das Ergebnis: Die Effekte liegen bei Null. Der Zweigeborene kann ebenso großherzig sein wie das Nesthäkchen – die Zuordnung von bestimmten Eigenschaften beruht auf Anekdoten. Ähnlich ist es mit dem Generationenkonflikt. Doch weil dieses Thema direkt greifbar ist, sprechen die Menschen darüber. Anstatt sich also mit der Person selbst auseinanderzusetzen, schiebt man bestimmte Verhaltensweisen auf das Kollektiv. Aber das ist nicht zielführend: Statt nach einer abstrakten Verantwortung für das Verhalten der Person zu suchen, sollte man sich mit ihren persönlichen Spezifika beschäftigen.

Zwei Schilder mit der Aufschrift "choice" zeigen in verschiedene Richtungen
Viele Menschen neigen dazu, Entscheidungen zu treffen, die als allgemein akzeptierter gelten - sie treffen also zum Beispiel eher die Entscheidung für das Markenprodukt anstatt für die No-Name-Variante.

Ist es leichter oder schwerer, eine Nachfolge anzutreten als zu gründen?

Die Vorteile liegen auf der Hand. In der Regel muss ein Nachfolger nicht das tiefe Tal durchschreiten, das ein Neugründer in den ersten Jahren überwinden muss. Es gibt bereits eine Substanz, auf die er aufbauen kann. Ob es eher leicht oder eher schwer ist, in ein Unternehmen einzutreten, hängt auch vom Typus des Nachfolgers ab. Ist er eher solide und kann viel verarbeiten, dann passt es zu ihm, wenn er einsteigen und einfach im Unternehmen mitmischen kann. Doch viele Nachfolger wollen zu Beginn nicht direkt Chef sein. Sie wollen erst einmal Erfahrung sammeln. Wenn diese Personen dann als Co- oder Vizechef in den Betrieb einsteigen, hilft ihnen das enorm, denn sie wollen nicht gleich für ihre Entscheidungen zur Verantwortung gezogen werden. Zu diesem Thema gibt es eine interessante Studie: Die Teilnehmer der Studie sollten ein Beratungsunternehmen beauftragen. Dabei standen zwei Unternehmen zur Auswahl: eine kleine spezialisierte Firma und eine große Consulting. Die Tendenz ging zur großen Consulting – denn mit dieser Entscheidung kann man offiziell weniger falsch machen. Man hat die Marke gewählt, auf die sich bereits viele verlassen haben. Die Entscheidung für das kleinere Unternehmen wäre gewagter und man wäre somit für seine Entscheidung angreifbarer. Hinter diesem Verhalten steckt ein Persönlichkeitstypus. Die meisten Menschen haben erstmal die Tendenz zu denken, dass sie für alles, was sie aktiv entscheiden, haftbar gemacht werden. Für alles, was sie passiv geschehen lassen, werden sie jedoch nicht zur Verantwortung gezogen. Es geht darum, seinen persönlichen Schutzschild aufrecht zu erhalten – deshalb treffen viele Menschen Entscheidungen, die als allgemein akzeptierter gelten. Und das ist auch der Grund, weshalb viele Nachfolger nicht unmittelbar die gesamte Verantwortung allein tragen möchten.

In roten Buchstaben steht auf weißen Hintergrund "Mentoring"
Ein Mentorenprogramm kann dabei helfen, Nachfolger und Senior-Unternehmer im Übergabeprozess zu unterstützen.

Sie haben es angesprochen: Ein Großteil der Nachfolger möchte nicht direkt allein an der Spitze des Unternehmens stehen. Wie lässt sich der Übergabeprozess stattdessen gestalten?

Eine tolle Lösung ist ein Mentorenprogramm. Statt den Nachfolger ins kalte Wasser zu werfen, gibt es eine Übergangsfrist, in der der Senior-Unternehmer als Mentor für den Jüngeren fungiert. Dieses Programm wird beiden Seiten gerecht, weil der Mentor sein Know-how weitergeben kann – das ist verbunden mit einem extremen Wohlfühlfaktor. Er merkt: Nicht nur ich als Person bin wichtig für den Betrieb, sondern auch mein Wissen. Auf der anderen Seite erhält der Nachfolger auch einen Einblick in die Kultur des Unternehmens und kann sich bei Fragen an den Älteren wenden. So verteilt man die Verantwortung auf mehrere Schultern und geht dem eben beschriebenen Problem aus dem Weg. Auch der strukturelle Übergang wird einfacher: Wer kurz vor der Rente steht, muss nicht mehr von sieben bis siebzehn Uhr im Unternehmen stehen, sondern kann auch in Teilzeit arbeiten und eine erklärende, organisierend-leitende Rolle einnehmen. Doch dieses Modell braucht Zeit. Hat man sich für einen Nachfolger entschieden, folgt die Übergangsfrist von zwei bis drei Jahren. Und an dieser Stelle hört es bei vielen Unternehmern auf: Sie gönnen sich so einen langen Zeitraum nicht. Sie sind, wie viele freiberuflich Arbeitende, in ihren täglichen Abläufen gefangen. Deshalb neigen sie dazu, sehr im Hier und Jetzt zu denken und zu handeln. Das ist auch der Grund, warum wir Beratungsgespräche nie im Betrieb des Unternehmers führen: Dort ist er überhaupt nicht in der Lage, sich in Ruhe auf ein Gespräch einzulassen, weil er ständig auf Abruf bereitsteht. Wir holen die Unternehmer an einen neutralen Ort, sie schalten ihr Handy aus und wir trinken erstmal in Ruhe einen Kaffee. Dann verschiebt sich ihr Fokus weg vom Tagesgeschäft und hin zu den Themen, die er im Beratungsgespräch aufgreifen möchte. Das ist ganz wichtig.

Sechs Personen befinden sich in einem Gespräch
Transparenz, Kontinuität und Kommunikation gegenüber den Mitarbeitern sind wichtig, um als Nachfolger ihr Vertrauen zu gewinnen.

Im nächsten und letzten Teil unserer Interview-Reihe mit Dr. Klaus Harnack wird die Nachfolge innerhalb der Familie im Fokus stehen. Außerdem verrät Harnack, warum es vielen Menschen immer noch schwer fällt, in der Beratung einen Psychologen hinzuzuziehen.

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