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Segelboot auf einem See

Dominik Dopheide, IHK Nord Westfalen

Nachfolge auf Kurs bringen

Wenn der Chef das Unternehmen nicht mehr führen kann oder will, darf das Unternehmen daran nicht scheitern. Zwei Hochschulen haben ein Weiterbildungsangebot entwickelt, damit die Übergabe an einen familieninterne oder auch externen Nachfolge konfliktfreier und zielstrebiger gelingt.

Vorausschauend planen, dann schnell und systematisch handeln: So zeigt sich Unternehmergeist – eigentlich. Doch ausgerechnet beim Projekt Nachfolge sieht die Realität oft anders aus. „Viele Senior-Unternehmer verschleppen das Thema oder verdrängen den Gedanken ganz, sodass es eines Tages schlicht zu spät sein kann“, berichtet Dr. Alexander Lahmann, Professor für Mergers & Acquisitions (M&A) im Mittelstand an der Handelshochschule Leipzig (HHL) und Leiter des HHL-Instituts für Familienunternehmen & Unternehmernachfolge (IFU). Als Mediator hat er selbst miterlebt, wie es ruckeln kann im Nachfolgeprozess. „Schließlich haben wir es mit drei Personenkreisen zu tun, die jeweils eine eigene Agenda und eigene Interessen haben: Nachfolger, Senior-Unternehmer und Berater“, erklärt Lahmann. Sein Tipp Nummer 1 bei verhärteten Verhandlungsfronten: Perspektivwechsel. Stolpersteine, etwa Divergenzen bei der Unternehmensbewertung, lassen sich laut Lahmann gut aus dem Weg räumen, wenn es den Parteien gelingt, gegenseitiges Verständnis zu entwickeln.

Wer aber die zeitliche Herausforderung unterschätzt, die das Nachfolge-Vorhaben darstellt, habe einen grundlegenden Fehler begangen. Der sei oft nicht mehr zu kompensieren, warnt der Wissenschaftler. Das gilt auch dann, wenn die Firma in der Familie bleiben soll. Beispielhaft zitiert der Professor aus einem Gespräch, das er moderiert hat: „Papa, wenn ich übernehme, bist du bitte ganz raus“, hatte ein designierter Chef gefordert und damit den Plan des Vaters kurzfristig durchkreuzt. Zehn Jahre lang hätte der Senior gern noch an des Sohnes Seite im Tagesgeschäft mitgemischt. „Nicht nur der externe, auch der familieninterneNachfolgeprozess erfordert eine Phase des Kennenlernens, weil einige Themen nicht über Nacht ausdiskutiert werden können“, sagt Lahmann und empfiehlt die Entwicklung und Dokumentation einer Familienverfassung, die deckungsgleich ist mit der Unternehmensstrategie. Sie ist ein Navigator für künftige unternehmerische Entscheidungen, aber auch für den Umgang mit Familienangehörigen, die von der Nachfolge ausgeschlossen sind. Generell empfiehlt Lahmann, dieNachfolgeorganisation in Teilprozesse zu gliedern. Erster Schritt für Seniorunternehmer: den Zeitpunkt für den Ruhestand bestimmen, dann mindestens sieben Jahre im Kalender zurückblättern und den Starttermin für das Nachfolge-Projekt eintragen.

Alexander Lahmann
Alexander Lahmann, Professor für Mergers & Acquisitions (M&A) im Mittelstand an der Handelshochschule Leipzig (HHL) und Leiter des HHL-Instituts für Familienunternehmen & Unternehmernachfolge (IFU)

Auch er hat beobachtet, dass Inhabern sowie angehenden Unternehmern nicht immer bewusst ist, welch komplexe Aufgaben im Nachfolgeprozess stecken. Vor diesem Hintergrund hat die IHK ein neues Weiterbildungsformat initiiert, das sich gleichermaßen an abgebende und künftige Inhaber richtet: das Zertifikatsprogramm „Unternehmensnachfolge – Zielgerichtetes Nachfolgemanagement in Zeiten der digitalen Transformation“. Es startet mit dem Thema „Nachfolgemanagement & Family Governance“ im Juni 2021 im IHK-Bildungszentrum am Sentmaringer Weg. Die beiden weiteren Module tragen die Titel „Unternehmensführung“ und Digitale Transformation im Mittelstand“. Nicht die IHK selbst, sondern zwei Hochschulen sind mit der Konzeption und Realisation der Kurse betraut. Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und die Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der HHL Leipzig bieten das Programm gemeinsam an. Die praxiserfahrenen Wissenschaftler teilen sich die Aufgabe: Das Team um Alexander Lahmann erklärt, wie Seniorunternehmer und künftige Inhaber den Nachfolgeprozess erfolgreich managen. Die Experten der WWU zeigen, wie sich Digitalisierungsdruck im Zuge der Nachfolge in Innovationskraft wandeln lässt.

Unterzeichnung des Vertrags für die Kooperation
Zertifikatsprogramm für Unternehmensnachfolger (von links): Die Rektoren der Handelshochschule Leipzig (HHL), Prof. Dr. Stephan Stubner, und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), Prof. Dr. Johannes Wessels, unterzeichneten den Vertrag für die Kooperation, die von IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Fritz Jaeckel initiiert wurde (Foto: Tronquet-MünsterView/IHK Nord Westfalen)

Bewertung, Steuern und Corona

Dass der Digitalisierungsgrad zum Dreh- und Angelpunkt nicht nur für die Kaufpreisfindung, sondern auch für die Schrittfolge des Prozesses werden kann, macht der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Gernot Stahlberg deutlich. Er ist Geschäftsführer der Valuta GmbH Sachverständigengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Münster, und von der IHK Nord Westfalen öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Unternehmensbewertung. „Wenn sich die abgebende Generation nicht mehr intensiv mit dem digitalen Wandel befassen möchte, ist eine beschleunigte Übertragung der Verantwortung an die nachfolgende sinnvoll,“ rät er. um einen sei deren Technikaffinität in der Regel höher, zum anderen gebiete es die Fairness, elementare Entscheidungen jenen zu überlassen, die das Unternehmen in die Zukunft führen. Eine weitere Gefahrenstelle ist die Unternehmensbewertung. „Der Wert wird häufig von dem betrauten Steuerberater nach dem steuerrechtlich verankerten vereinfachten Ertragswertverfahren typisiert ermittelt, das aber oft zu Ergebnissen führt, die nicht plausibel sind, gerade in Corona-Zeiten“, erläutert Stahlberg, der seit mehr als 20 Jahren Unternehmen bewertet.

Das könne bei den abgebenden und nachfolgenden Personen zu unnötig falschen Einschätzungen führen, aber auch zu Spannungen mit Familienmitgliedern, die von der Nachfolge ausgeschlossen sind, oder zu Meinungsverschiedenheiten mit den Finanzbehörden. Stahlberg kennt das Gegenmittel: Neutralität. Auch das Steuerrecht biete die Möglichkeit, unabhängige Sachverständige einzubinden. Der Verkehrswert, der von ihnen ermittelt wird, schaffe Transparenz, Akzeptanz zwischen den Beteiligten und eine plausible Grundlage der Besteuerung. „Gerade bei familieninternen Nachfolgen spielen ja Erbschafts- und Schenkungssteuern eine wichtige Rolle“, sagt Stahlberg, um dann auf eine Chance hinzuweisen, die sich in der Corona-Krise bieten kann. „In vielen Branchen führt die Pandemie aufgrund des gestiegenen Risikos zu geringeren Unternehmenswerten und entsprechender Besteuerung“, informiert der Sachverständige. Das könne für familieninternea Nachfolgen ein Vorteil und Anlass zu zügigem Handeln sein.

Stahlberg rät in jedem Fall zu einer frühen ersten Einschätzung des Unternehmenswerts, um unrealistischen Vorstellungen und Zeitverlusten im Nachfolgeprozess vorzubeugen. „Der wichtigste Schritt aber gilt der Gewissheit, dass die Nachfolgerin oder der Nachfolger den Willen, die Eignung und die passenden Vorstellungen mitbringt“, sagt Stahlberg. Wie wertvoll gerade in diesem Prozess ein geschulter Blick von außen ist, hat Professor Dr. Alexander Lahmann vor kurzem einmal mehr bewiesen: Er hat einen Nachfolger überzeugt, dass es gut für die Firma ist, wenn der Senior erstmal an Bord bleibt. Nicht zehn Jahre lang, sondern zwei bis drei.

Dieser Beitrag ist ein Nachdruck aus dem „Wirtschaftsspiegel“ 3/2021, Zeitschrift der IHK Nord Westfalen

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