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Michael Terhörst, Sven Wolf und Michael Meese im Interview

Michael Terhörst, Redaktionsleiter Wirtschaft aktuell

„Der Kaufpreis ist ein wesentlicher Streitpunkt“

Im ersten Teil der fussstapfen-Interviewreihe haben Michael Meese und Sven Wolf, Nachfolgeexperten der IHK Nord Westfalen, unter anderem über das Timing, häufig gestellte Fragen sowie die Vor- und Nachteile einer familieninternen Übergabe gesprochen. Im zweiten Teil der Reihe steht nun der Übergabeprozess an sich im Fokus. Wie und wann sollten Unternehmer das Thema angehen, welche Fallen gibt es und wie kann man sie umschiffen? Diese und andere Fragen beantworten sie hier.  

Herr Meese, Herr Wolf, welche Meilensteine gehören aus Ihrer Sicht zu einer optimalen Unternehmensnachfolge?

Michael Meese: Meiner Meinung nach gibt es in der familieninternen Nachfolge fünf wesentliche Punkte. Punkt eins: früh anfangen und sich Zeit nehmen. Wie früh, das kommt letztendlich auf das Unternehmen an. Doch es ist sinnig, sich fünf bis zehn Jahre vor dem geplanten Ausstieg mit der Nachfolge zu beschäftigen. Punkt zwei: Die Familie sollte sich zusammensetzen und Familien- und Unternehmensziele besprechen. Die Beteiligten sollten klären, was der Nachfolger möchte und was der Senior. Das Thema Altersvorsorge sehe ich dabei als einen elementar wichtigen Punkt Nummer drei an. Die Inhaber müssen wissen, wann sie es sich leisten können, in den Ruhestand zu gehen. Und sie müssen loslassen können. Das klingt so leicht, doch ist in der Praxis oft schwierig für die Betroffenen. Der vierte Punkt: der Unternehmenswert. Der Senior muss mit seinen Kindern rechtzeitig besprechen, wie sein Erbe aufgeteilt wird. Das ist entscheidend, um Streitereien zwischen den Kindern vorzubeugen. Punkt fünf ist die Übergabephase. Die Beteiligten sollten einen ganz klaren Maßnahmenkatalog erstellen, der aber in sich flexibel ist. Schließlich ist es nicht möglich, die Zukunft im Detail zu planen.

Was sind denn die größten Fallstricke in einem Übergabeprozess?

Sven Wolf: Vor allem bei der externen Nachfolge ist der Kaufpreis ein wesentlicher Streitpunkt. Dort prallen oftmals zwei Welten aufeinander: Auf der einen Seite gibt es den Inhaber, der vor allem die Vergangenheit im Blick hat und sein Lebenswerk sieht sowie alles, was er dafür geleistet hat. Auf der anderen Seite gibt es den Nachfolger, der vor allem in die Zukunft schaut. Er wägt die Chancen des Unternehmens ab, überlegt, welche Hebel er in Bewegung setzen muss, um das Unternehmen erfolgreich weiterzuführen und welche Investitionen er gegebenenfalls tätigen muss. Die Vorstellungen von einem angemessenen Kaufpreis liegen deshalb oft sehr weit auseinander. Aktuelle Entwicklungen, die die Unternehmer beschäftigen, machen diesen Prozess nicht leichter. Ein Stichwort: Digitalisierung. Sind Geschäftsmodelle, die momentan noch lukrativ und tragfähig sind, auch in der digitalen Welt zukunftsfähig? Oder müssen neue Strategien und Ansätze her? Auch darüber muss sich ein Nachfolger Gedanken machen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Inhaber im Kaufpreis oft seine Altersvorsorge sieht. Das sollte nicht so sein, die Altersvorsorge muss auf mehreren Beinen stehen. Je weiter Inhaber und potenzieller Käufer auseinanderliegen, desto schwieriger wird es, sich auf einen festen Kaufpreis zu einigen.

Was sollten die Unternehmer und die Nachfolger tun, um auf einen Nenner zu kommen?

Wolf: Oft miteinander sprechen. Für eine erste Einschätzung gibt es ein Tool im Internet, den sogenannten KMU-Rechner. Er berechnet mithilfe einiger Daten einen Wert, der helfen kann, ein Gefühl für den tatsächlichen Unternehmenswert zu bekommen. Auch das Gespräch mit dem Steuerberater hilft, um einen realistischen Blick auf die Sache zu erhalten. Wer eine vollständig neutrale Beratung sucht, kann sich an IHK-vereidigte Sachberater speziell für die Unternehmensbewertung wenden. In unserer Region gibt es sieben Personen, die sich darauf spezialisiert haben. Sie verfolgen keine Mandatsinteressen. Die Unternehmensnachfolge ist ein vielschichtiges Interessenspiel und nicht immer ist eindeutig, welche Absichten die Beteiligten verfolgen. Deshalb empfehle ich häufiger die Beratung durch diese Experten.

Sven Wolf
Sven Wolf, Nachfolge-Experte der IHK Nord Westfalen

Sie haben es angesprochen: Auch sich verändernde Geschäftsmodelle – Stichwort Digitalisierung – spielen bei der Bewertung eines Unternehmens eine Rolle. Wie können solche Komponenten einfließen?

Wolf: Das ist extrem schwierig und ein Punkt, mit dem sich der Nachfolger während der Entscheidungsfindung für oder gegen ein Unternehmen auseinandersetzt. Er muss sich darüber im Klaren sein, wie er das Unternehmen in Zukunft strategisch aufstellen möchte. Der Nachfolger muss wissen, welche Branche und welches Marktumfeld sich im Zuge der Digitalisierung verändern und ob womöglich das gesamte Geschäftsmodell seines Unternehmens auf den Kopf gestellt wird. Für die Inhaber ist es wichtig, auch im Nachfolgeprozess nicht nachzulassen und mit der Zeit zu gehen. Ansonsten hat das Auswirkungen auf den Kaufpreis, den er für sein Unternehmen erzielen kann. Aber das weiß in der Regel jeder Unternehmer selbst – schließlich schläft der Wettbewerb nie.

Welche weiteren Fallstricke gibt es?

Meese: Schwierig wird es auch dann, wenn ein Unternehmen sehr stark vom Inhaber als Person abhängig ist. Es ist wichtig, dass sich die Inhaber frühzeitig damit beschäftigen, ihr Know-how auf die Mitarbeiter zu übertragen, um ihr Unternehmen von sich unabhängiger zu machen. Das hat folgenden Grund: Jeder Nachfolger stellt sich die Frage, welches Know-how bereits im Unternehmen vorhanden ist und welches Wissen er neu gewinnen muss. Wenn das Wissen des Inhabers nach seinem Rückzug nicht einfach wegfällt, sondern im Unternehmen bleibt, hilft das dem Nachfolger in der Praxis ungemein.

Gibt es Unternehmen, die nicht übergabefähig sind, weil die Abhängigkeit vom Inhaber zu groß ist?

Wolf: Einige Unternehmen sind zumindest nicht zu dem Zeitpunkt übergabefähig, zu dem der Inhaber anfängt, sich über die Nachfolge Gedanken zu machen. Dann müssen diese Personen dringend aktiv werden und ihr Know-how weitergeben. Das kostet Zeit und braucht Vertrauen zwischen den Beteiligten.

Meese: Auch die Digitalisierung wird meiner Meinung nach hier noch einmal richtig Druck in den Nachfolgebereich bringen. Denn Nachfolger schauen nicht in die Vergangenheit, sondern sie blicken in die Zukunft. Das zeigt sich auch in Gesprächen mit Senior und Junior aus den Familienunternehmen: Wenn man dort über Veränderungen spricht, erlebe ich, wie die Junioren nach vorne gehen und das Zepter in der Hand haben, während die Senioren sich zurücklehnen und ihre Kinder machen lassen.

Wolf: In solchen Gesprächen zeigt sich häufig die Mentalität des Seniors: „Die machen das schon. Und zwar besser als ich.“ Viele der Inhaber sind an dieser Stelle sehr sachlich und vertrauen ihren Kindern. Das ist wichtig, besonders wenn es um die familieninterne Nachfolge geht. Wenn Sohn oder Tochter ins Unternehmen kommen, sollte der Senior sich frühzeitig überlegen, wie er die Aufgabenbereiche aufteilt. Sein Nachfolger muss von Anfang an Bereiche haben, um die er sich selbstständig und eigenverantwortlich kümmert. Der Junior muss selbst Entscheidungen fällen dürfen und auch mal Fehler machen dürfen. Das gehört zum Reifeprozess dazu.

Meese: Das ist aber keine Einbahnstraße. Senioren müssen etwas abgeben können, aber die Junioren müssen das auch einfordern. Schließlich wollen sie Verantwortung übernehmen und in Zukunft das Unternehmen alleine führen. Es ist wichtig, dem Nachfolger nicht alles auf einem Präsentierteller zu liefern. Deshalb sollten die Junioren nicht nur abwarten, bis man ihnen Verantwortung in die Hände legt, sondern auch selbst fordern.

Im Interview: Sven Wolf (Mitte) und Michael Meese (rechts)
Im Interview: Sven Wolf (Mitte) und Michael Meese (rechts)

Was sollten Unternehmerinnen und Unternehmen tun, die das Thema doch auf die lange Bank geschoben haben. Können Nachfolgeprozesse auch kurzfristig(er) funktionieren?

Meese: Wenn der Unternehmer sich komplett auf das Thema Nachfolge konzentriert, kann er die Dinge auch schneller vorantreiben. Dann läuft er allerdings Gefahr, dass er schneller falsche Entscheidungen trifft – schließlich hat er dann keine Zeit, über jede Entscheidung ausreichend lang nachzudenken. Mit ein bisschen Glück gelingt die Übergabe auch in einem kurzen Zeitraum. Aber ob man eine Nachfolge nur auf Glück bauen sollte, ist eine andere Frage. Fast unmöglich wird es allerdings, wenn Inhaber die Übergabe innerhalb eines Vierteljahres über die Bühne bringen wollen. Solche Fälle tauchen sehr selten auf und oft handelt es sich dabei um Kleinstunternehmen, die eigentlich bereits die Schließung planen. Wenn sie zu uns Kontakt aufnehmen, ist das eher ein letzter Versuch, die Nachfolge doch noch zu klären. Doch das ist häufig nicht möglich und auch nicht sinnvoll.

Wolf: Nicht jedes Unternehmen, dessen Inhaber in den kommenden zehn Jahren in Rente geht, ist auch übernahmefähig. Im IHK-Bezirk Nord Westfalen steht bei rund 35.000 Unternehmen die Nachfolge an, doch nur etwa 8.500 Unternehmen sind wirtschaftlich attraktiv genug für einen Nachfolger. Es werden nicht alle Unternehmen in den nächsten zehn Jahren noch bestehen bleiben und die Nachfolgeregelung erfolgreich abschließen, sondern es gibt auch einige Unternehmen, die sich der Frage stellen müssen: Wie drehe ich den Schlüssel richtig um?

Hält sich die Waage zwischen Neugründungen und Schließungen?

Wolf: Aktuell hält sich die Waage. Die Zahlen im Gründungsbereich sind zwar seit vielen Jahren rückläufig, doch die IHK versucht an dieser Stelle, aktiv gegenzusteuern. Wir möchten junge Menschen stärker für das Unternehmertum begeistern und haben entsprechende Angebote geschaffen, zum Beispiel das Startercenter Münsterland. Die Ursachen für die rückläufigen Gründungszahlen sind mannigfaltig – die gute Konjunktur zum Beispiel. Außerdem setzen viele junge Menschen heute andere Lebensschwerpunkte und wollen seltener die Verantwortung für ein Unternehmen tragen. Dazu kommt der Fachkräftemangel. All diese Punkte haben Einfluss auf die Gründerzahlen. Aktuell stabilisieren sich die Zahlen allerdings ein wenig und wir hoffen, dass sich sie sich langfristig wieder positiv entwickeln. Was positiv in der Gründerszene ist: Diejenigen, die heute gründen, sind mit ihrem Start-up in der Regel sehr erfolgreich. Das Thema Notgründungen liegt brach.

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